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Mohammed und Marwan. Zwei junge Araber studierten in Hamburg, wurden in Florida im Schnellkurs Piloten - und rissen in New York Tausende

von Menschen in den Tod.

Vier Tage, bevor er das südliche Manhattan in Schutt und Asche legte, saß der Mann in Shuckums Bar-Restaurant in der Harrison Street in Hollywood/

Florida und ärgerte sich über die Getränkerechnung. 48 Dollar waren ihm zu viel.

Ja, das sei er gewesen, sagt die Serviererin Patricia Idrissi, als ihr FBI-Agenten das Foto zeigen: die hohe Stirn über den buschigen Brauen, die dunkel

umrandeten Augen, die markante Nase, der schmale Mund - sie habe keinen Zweifel!

Am Freitag, dem 7. September, nachmittags gegen drei, sei dieser Mann zusammen mit zwei Begleitern hereingekommen. Der eine habe hinten am

Videoautomaten gespielt, die beiden anderen hätten zwei Stunden lang an der Theke gesessen und in einer fremden Sprache heftig diskutiert. Und viel

getrunken. Der Mann auf dem Foto fünf Wodka Marke Stolichnaya, der andere fünf Rumcocktails »Captain Morgan«. Als sie die Rechnung brachte,

habe der Wodkatrinker einen Streit angefangen. »Wenn du nicht zahlen kannst, dann komm nach vorn, wir klären das schon irgendwie«, habe der

Manager beruhigend gesagt. Da sei der Gast noch wütender geworden. »Du glaubst, ich kann nicht zahlen? Ich bin Pilot bei American Airlines!«, habe

er geschrien und schließlich ein paar Hundert- und Fünfzigdollarscheine herausgezogen, die Rechnung bezahlt und verächtlich drei Dollar Trinkgeld

hingeworfen.

Zehn Stunden nach dem Terrorangriff waren die FBI-Agenten auf der richtigen Fährte. Der Mann aus der Bar in der Harrison Street war einer der 18

Selbstmordattentäter, die den furchtbarsten Anschlag seit Menschengedenken verübt haben. Er soll die erste der vier entführten Maschinen in den

nördlichen Turm des World Trade Center gejagt haben.

Sein Name und vier weitere verdächtige arabische Namen hatten auf der Passagierliste der ersten abgestürzten Maschine gestanden. Einer dieser

Namen fand sich auch auf zwei Koffern - und im Vertrag eines Mietwagens, der am Logan Airport in Boston zurückgeblieben war: Mohammed

El-Amir Atta, geboren am 1. 9. 1968, laut Pass Bürger der Vereinigten Arabischen Emirate. Das Porträtfoto, auf dem ihn die Barfrau wieder erkannt

hatte, stammt aus einem ägyptischen Führerschein. In Amerika hatte er erzählt, er stamme aus Afghanistan und habe lange Zeit in Deutschland

studiert.

Hamburg-Harburg, Marienstraße

Hamburg-Harburg, Marienstraße. Ein ruhiges Viertel. Hier leben einfache Leute in einfachen Wohnungen. »M. Atta« stand bis zum Mai 2000 auf dem

Klingelschild im Haus Nummer 54. In der kleinen Dreizimmerwohnung im zweiten Stock - Inklusivmiete 916,75 Mark - lebte Mohammed Atta zu-

sammen mit einem halben Dutzend Freunden, darunter auch Marwan Al-Shehhi, 23, Schiffbaustudent, der, wie man jetzt weiß, ebenfalls zu dem

Todeskommando in den USA gehört hat. »Es waren angenehme Leute, die pünktlich ihre Miete gezahlt haben«, sagt der Vermieter.

Mohammed Atta hat acht Jahre lang an der Technischen Universität Harburg Elektrotechnik studiert, auch noch, nachdem er schon sein Diplom hatte.

Kommilitonen und Nachbarn haben Schwierigkeiten, ihn auf den aktuellen Fotos wiederzuerkennen, die das FBI an die deutsche Polizei schickte.

Denn früher trugen Mohammed Atta und seine Freunde längere Haare und dunkle Bärte. Sie liefen in Kaftanen und Pluderhosen durch die Marien-

straße. Sie haben oft bis in die Nacht laut gebetet und gesungen. Sie waren immer ernst und wirkten ein bisschen finster. Im Treppenhaus grüßten sie

kaum und zogen ihre Tür sofort zu, wenn jemand vorbeikam. Als im Februar dieses Jahres die letzten Araber aus der Wohnung im zweiten Stock ge-

zogen sind, haben sie Computer und viel High-Tech-Gerät weggeschleppt.

E-Mail-Adresse: el-amir@harburg.de

An der Technischen Universität Harburg steht Atta noch unter seinen Vornamen Mohammed El-Amir als »Ansprechpartner der Islam Arbeitsgemein-

schaft« im aktuellen Universitätsverzeichnis. E-Mail-Adresse: el-amir@harburg.de Unter den 5000 Studenten sind 800 Ausländer aus aller Welt. In

Harburg ist man stolz auf Internationalität und Liberalität.

»Es ist furchtbar, dass sie den Geist dieser Universität nicht angenommen haben«, sagte Hamburgs Bildungssenatorin Krista Sager nach den Terroran-

griffen in New York und Washington vor einer eilig einberufenen Vollversammlung der fassungslosen Studenten.

Welcher Geist hat diese Männer getrieben? Was ging in ihren Köpfen vor? Wer hat Mohammed und Marwan gesteuert, als sie sich im Mai vergangenen

Jahres wie ferngelenkte Roboter von Harburg aus nach Amerika in Bewegung setzten? War Osama bin Laden ihr Auftraggeber, der meistgesuchte

Terrorchef der Welt? »Es gibt offenbar auch bei uns so genannte Schläfer, die von internationalen Terrororganisationen als Kämpfer ausgebildet sind

und bei Bedarf aktiviert werden», vermuten deutsche Kriminalisten und Geheimdienstler seit längerem.

Über Kanada eingereist

Nach FBI-Ermittlungen sind Mohammed Atta und Marwan Al-Shehhi über Kanada in die Vereinigten Staaten eingereist. Im Juni tauchten sie in Florida

auf. Ihr Äußeres hatten sie völlig verändert. Die Bärte waren ab. Sie trugen Jeans und T-Shirts, wirkten wie westlich orientierte, moderne junge Leute

südländischer oder arabischer Herkunft. Die Freunde, die in Harburg streng nach dem Koran gelebt hatten, tranken jetzt sogar Alkohol. Vermutlich

war ihr neuer Lebensstil Tarnung, damit sie nicht in den Verdacht gerieten, das zu sein, was sie waren: muslimische Fundamentalisten und Terror-

kämpfer, die bereit waren, den Märtyrertod zu sterben.

Atta bezog ein Apartment in Venice. Marwan Al-Shehhi lebte in der kleinen Stadt Hollywood, 30 Meilen nördlich von Miami. Etwa zur gleichen Zeit

quartierte sich mehr als ein halbes Dutzend weiterer Männer aus dem Mittleren Osten in verschiedenen Orten in Florida ein, darunter Marwans Bruder

Waleed Al-Shehhi in Daytona Beach, Abdulatif Al-Omari in Miami, Wail Al Shehri in Boynton Beach, Amer Mohammed Kamfar in Vero Beach. Fast

alle ließen sich in privaten Flugschulen ausbilden. Einige der angehenden Piloten benutzten dasselbe Postfach bei den Saudi Arabian Airlines. Niemand

schöpfte Verdacht.

»Das waren nette, sympathische Leute«, sagt Rudi Dekkers, der Chef der Huffman Aviation am Venice Airport über seine Flugschüler Mohammed Atta

und Marwan Al-Shehhi. Sie hätten von ihrem Studium in Deutschland erzählt. Ihre Papiere seien in Ordnung gewesen, auch ihre Einreisevisa. Ihre

Ausbildungskosten, je 10 000 Dollar, hätten sie wie üblich im Voraus bezahlt. Ihre Schecks seien anstandslos eingelöst worden. Die Studenten aus

Hamburg waren gute Schüler. Nach einer fünfmonatigen Ausbildung von Juli bis November vorigen Jahres konnten sie problemlos einmotorige und

kleine zweimotorige Maschinen steuern. Mohammed Atta habe gesagt, er wolle später mal einen Jumbo-Jet fliegen. Deshalb vermutet Dekkers, die

beiden hätten sich bei einer anderen Flugschule noch weiter ausbilden lassen.

Unfreundlich und unordentlich

Während ihres Trainings bei Huffman Aviation lebten Atta und Al-Shehhi in einem Apartment in Venice, das dem Buchhalter der Flugschule gehört.

Charlie Voss und seine Frau haben die beiden nicht in guter Erinnerung behalten. Die beiden seien unfreundlich und unordentlich gewesen. Es habe

Streit gegeben. »Die beiden waren die Einzigen, die wir rausgeschmissen haben«, erzählt Drucilla Voss.

Mohammed Atta zog nach Coral Springs. Ein weißes Apartmenthaus mit elegantem Säuleneingang, an einem Palmenboulevard gelegen, war der letzte

Wohnort des 33 Jahre alten Mannes. Am Freitag, dem 7. September, wurde er zum letzten Mal in Florida gesehen, in Shuckums Bar-Restaurant in der

Harrison Street in Hollywood.

Die letzten Tage im Leben des Mohammed Atta hat das FBI Stück für Stück rekonstruiert und zu einem Puzzlebild zusammengefügt. Atta mietete in

Springfield einen weißen Mitsubishi, der in Virginia registriert war. Überwachungskameras hielten auf Videoband fest, dass dieser Wagen bis zum

Dienstag, dem 11. September, die Einfahrt zum Parkplatz am Logan Airport in Boston fünfmal passiert hat. In dem Misubishi sind schemenhaft

mehrere Männer zu erkennen. Später wurde in dem Wagen ein so genannter »Ramp Pass« gefunden, eine Sondererlaubnis, mit der der Fahrer des

Wagens dicht an die Rollbahnen fahren durfte, was sonst nur ausgesuchtem Flughafenpersonal erlaubt ist. Außerdem lagen im Wagen Flughandbücher

und Bänder mit arabischen Gebeten und Gesängen.

Platz 8D in der Business-Class

Am frühen Dienstagmorgen flog Mohammed Atta mit einer Zubringermaschine von Portland/Maine nach Boston. Auf dem Logan Airport zog er an

einem Automaten mit einer Kreditkarte ein One-Way-Ticket für 1920 Dollar für den Flug AA 011 mit American Airlines von Boston nach Los Angeles.

Beim Start der Maschine um 7.59 Uhr saß Passagier Mohammed Atta in der Business-Class auf dem Platz 8D. Mit ihm waren drei weitere Passagiere

mit arabischen Namen an Bord. Zwei von ihnen hatten ebenfalls Flugschulen in Florida absolviert.

Innerhalb der nächsten Stunde starteten drei weitere vollgetankte Langstreckenmaschinen: United-Airlines-Flug 175 von Boston nach Los Angeles;

United-Airlines-Flug 093 von Newark/New Jersey nach San Francisco; American-Airlines-Flug 077 von Washington nach Los Angeles. Marwan

Al-Shehhi, der zweite Student aus Hamburg, war an Bord der American-Airlines-Maschine, die um 8.14 Uhr in Boston mit Ziel Los Angeles abhob.

Insgesamt waren 18 Männer arabischer Herkunft an Bord der vier Maschinen. Sie hatten Messer und Teppichschneider durch die Flughafenkontrollen

geschmuggelt.

Nachdem die Maschinen ihre Reiseflughöhen erreicht hatten, stürmten die Attentäter mit ihren Stichwaffen in die Cockpits. Das FBI vermutet, dass sie

die Piloten sofort umgebracht und die Kontrolle der Maschinen übernommen haben. Die zu Piloten ausgebildeten Hijacker änderten wie auf Kom-

mando innerhalb weniger Minuten die Flugrichtungen der Maschinen und steuerten Washington und New York an.

Im Cockpit von American Airlines 011, einer großen Boeing 767, war der Transponder noch eingeschaltet. Und die Bodenkontrolle in New Hampshire

konnte zunächst noch die ruhigen Routineanweisungen des Piloten verfolgen. Dann war plötzlich ein Durcheinander von Wortfetzen und Geräuschen

zu hören. Und dann eine andere Stimme mit hartem, gutturalem Akzent - die Stimme des Entführers, der nun die schwere Maschine steuerte.

»Wir haben noch andere Flugzeuge«

Die FBI-Ermittler sind sicher, dass in diesem Moment Mohammed Atta, der Anführer der ersten der vier Hijacker-Trupps, das Kommando im Cockpit

übernommen hatte. Die Bodenkontrolle hörte, wie der Entführer rief: »Wir haben noch andere Flugzeuge.«

Never Forget   9/11 2001

Killer im Cockpit

2001 - Terror in USA

vor 22 Jahren

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